Erfahrungen

Sind so vielfältig wie die Erkrankungen

Auch die kleinen Menschen kann es treffen

Die Eltern bemerkten den Beginn der Erkrankung kaum. Die ersten Symptome, dass das Kind immer weniger laufen wollte, wurden auf eine andere Erkrankung geschoben. Als es sagte, es könne nicht mehr rennen, wurde das noch nicht ernst genommen. Auch dass bei seiner Routineuntersuchung ein Beinreflex nicht auslösbar war, ließ keine Alarmglocke läuten. Als es sich am Geländer hochzog, um überhaupt die Stufen zu schaffen, fuhren die Eltern mit dem Kind in die Klinik. Eine Untersuchung, brachte kein Ergebnis. Einige Tage später folgten Blutabnahme, Lumbalpunktion und Elektromyographie. Der Neurologe diagnostizierte CIDP und verordnete sofort Immunglobuline. Dieser Befund wurde in der Kinderklinik nicht anerkannt und die Familie wurde mit dem Hinweis, wenn es schlechter wird, sollten sie Bescheid geben, nach Hause geschickt. Ein paar Wochen später wurde es schnell schlechter. Das Kind konnte die Treppen nicht mehr hoch- oder runterlaufen, die Beine kippten immer öfter beim Gehen weg. Sie konnten sofort in die Klinik. Noch einmal musste das Kind die Untersuchungen über sich ergehen lassen. Blutabnahme, Lumbalpunktion, Elektromyographie. Diesmal rief der Neurologe den Professor der Kinderklinik persönlich an. Die Therapie mit Immunglobulinen konnte durchgeführt werden. Der Erfolg war überwältigend, drei Tage später konnte das Kind wieder selbständig laufen, die Treppe konnte es wieder, mit einer Hand am Geländer, langsam hoch- und runtergehen. Nach sieben Tagen Klinikaufenthalt ging es wieder nach Hause. Es folgten weitere Infusionen in der Klinik. Als die Eltern diese Geschichte erzählten, standen sie am Anfang der Erkrankung ihres Kindes und bedauerten noch so wenig darüber zu wissen.

Freitag der 13.

Im Januar 2012 verbrachten wir ein Wochenende bei den Grosseltern. In der ersten Nacht, vom Freitag, 13.1. auf den Samstag, weinte unser damals fünf-jähriger Sohn sehr viel und klagte über Schmerzen in den Kniekehlen. Tagsüber war er entsprechend müde, doch die Schmerzen waren fast vergessen. In der darauffolgenden Nacht wurden die Schmerzen noch schlimmer und wir waren froh, dass als wir am Sonntag wieder nach Hause fahren konnten. Doch seit diesem Wochenende konnte unser Sohn aufgrund dieser Schmerzen nachts nicht mehr schlafen und weinte oft stundenlang. Tagsüber wurde er immer antriebsloser. Nach ein paar Tagen viel uns auf, dass er sich nicht mehr auf den Boden setzten konnte und beim Laufen immer unsicherer wurde.

Regelmässig suchten wir die Kinderärztin auf, die uns zwar zum Glück sehr ernst nahm, doch schnell mit ihrem Latein am Ende war. Sein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag, die Nächte waren voller Schmerzen und Verzweiflung. Am allerschlimmsten war die Hilflosigkeit!

Anfang Februar wusste die Kinderärztin nicht mehr weiter und verwies uns zu einem ihr bekannten Kinderneurologen im Kinderunispital Basel, den wir voller Hoffnung aufsuchten. Unser Sohn wurde von unzähligen Neurologen über zwei bis drei Stunden untersucht, nichts wurde ausgelassen. Er spürte wohl, wie wichtig dies war und arbeitete unermüdlich mit. Nachdem diese Voruntersuchungen abgeschlossen waren, berieten sich die Ärzte und teilten mir nach geraumer Zeit mit, dass sie bei ihm das Knochenwasser untersuchen möchten und ihn im MRT genau anschauen wollen. Dies geschah noch im selben Augenblick und wir waren unglaublich froh, dass nun endlich etwas passierte und nicht noch mehr Zeit ins Land zog!

Nachdem unser Sohn aus der Narkose aufgewacht ist, warteten wir auf die Diagnose der Ärzte. Gegen 21.00 Uhr kamen drei Ärzte zu uns, um uns mitzuteilen, dass er an GBS erkrankt sei. Dies sei sehr selten, jedoch gut behandelbar. Puh, die Erleichterung war riesengross! In diesem Augenblick ging erneut die Tür auf und eine Schar Ärzte und Schwestern kamen mit unzähligen Apparaten zu uns. Unser Sohn bekam die erste Gabe Immunglobuline unter ununterbrochener Betreuung der Fachpersonen. Dabei wurde permanent an der Wade sein Blutdruck gemessen, was ihm unglaubliche Schmerzen bereitete. Doch mittlerweile war er durch diesen aufregenden Tag so erschöpft, dass er dies im Halbschlaf hinnahm. Unsere Erleichterung war riesengross, denn durch eine Diagnose konnte er endlich behandelt werde, auch wenn uns das Krankheitsbild völlig fremd war.

Insgesamt waren wir fünf Tage im Krankenhaus. Tagsüber waren unendliche Untersuchungen und Therapien, abends die Immunglobulingabe. Mittlerweile konnte unser Sohn nicht mehr gehen, war sehr, sehr schwach und hatte nach wie vor schreckliche Schmerzen. Am Tag der Entlassung fragte ich die Ärzte, wie es denn nun im Alltag weitergehe. Dass verschiedene Therapien folgen werden, wusste ich bereits, doch den Alltag konnte ich mir noch nicht so recht vorstellen. Daraufhin meinten die Ärzte, unser Sohn sei erfolgreich behandelt und das Leben gehe weiter wie vor der Diagnose. Wie sich jedoch schon schnell herausstellte, war diese Aussage komplett falsch und wiegte uns in falscher Hoffnung. Denn ein Leben wie vor der Diagnose stellte sich erst langsam nach rund acht Jahren ein und wir hatten lange Zeit zu viel von unserem Sohn verlangt!

Der Alltag der gesamten Familie drehte sich nach dem Krankenhausaufenthalt nur um Schmerzen, Therapien, Sorge und Verzweiflung. Unser Sohn kam nur sehr langsam wieder zu Kräften. Er ermüdete schnell, nässte sich Tag und Nacht unzählige Male ein, lief zwar mittlerweile wieder besser, doch stolperte er sehr oft, hatte ständig zittrige Hände und Beine und nach wie vor viel zu oft starke Schmerzen. Zum grossen Glück mussten wir nicht in die Reha, sondern konnten sämtliche Therapien von zuhause aus besuchen. So waren nach und nach wieder etwas Familienleben und Alltag mit ihm und seinen beiden älteren Schwestern möglich!  Doch war diese Zeit eine starke Belastung für jeden einzelnen aus der Familie.

Als jedoch eines Tages für mich als Mama der Zeitpunkt kam, an dem ich nicht mehr weiterkam, fiel mir der Hinweis einer Bekannten ein, dass es von und für GBS-Erkrankte eine Selbsthilfegruppe gibt. Nun konnte ich mich endlich dazu durchringen, bei jemanden aus dieser Gruppe anzurufen und meinen Alltag mit sämtlichen Sorgen und Problemen zu schildern. Und endlich, endlich, endlich sprach ich mit jemandem, der meine Sorgen kennt, die Probleme nachvollziehen kann und mir mit Rat und Tat zur Seite stand! Diesem Telefonat und der Hilfe, die sich daraus entwickelte und den vielen wertvollen Kontakten aus der GBS-Selbsthilfe, die sich daraus ergaben, kann ich unglaublich viel verdanken! Ich war zwar die Einzige mit einem erkrankten Kind, doch nahm ich aus jedem Besuch der Treffen, aus jedem Gespräch viele neue Inputs mit. Wir standen nicht mehr alleine da, wir konnten jederzeit bei Fragen und Problemen nachfragen und uns auch mal den Ballast von der Seele heulen!

Heute ist unser Sohn ein sehr kreativer, fröhlicher Mensch. Nach Einsetzten der Pubertät wurden die übriggebliebenen Restdefizite merklich besser. GBS begleitet uns zwar noch immer im Alltag, doch ist es sehr weit in den Hintergrund gerückt, worüber wir unglaublich erleichtert sind.

Für unseren Sohn und uns als Eltern war es neben der alltäglichen Sorge am schlimmsten, dass man ihm die Defizite nicht ansah, so dass in der Schule, bei den Ärzten und beim restlichen Umfeld viel Unverständnis aufkam. Dies war enorm belastend! Doch er meisterte diese lange und oft schwere Zeit sehr gut und steht nun mitten im Leben, was uns Eltern unglaublich stolz macht!